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Angesichts der schier ungeheuerlichen Pannen bei den Wahlen zum Bundestag und zum Abgeordnetenhaus in Berlin im September 2021, hat sich der Bundesverfassungsrichter und frühere Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller, ungewohnt deutlich geäußert: Was sich in der Hauptstadt bei der Wahl abgespielt habe, erinnere ihn an diktatorische Entwicklungsländer.
In einem vielbeachteten Gespräch mit der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” hatte Müller gesagt, wenn es sich so darstelle, wie es den Medien zu entnehmen sei, „dann dürfte das ein einmalig gelagerter Fall sein“. Da würden Verhältnisse geschildert, dass man versucht sei zu sagen, „sowas hätte man sich vor einigen Jahrzehnten vorstellen können in irgendeinem diktatorischen sogenannten Entwicklungsland, aber doch nicht mitten in Europa, mitten in Deutschland“.
Soweit er es übersehen könne, zeugten die alptraumhaften Details des Skandals „tatsächlich Abläufe, wie sie in vergleichbarer Weise jedenfalls in Deutschland noch nie stattgefunden haben“. Weiter sagte Müller, der im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts für das Wahlrecht zuständig ist, die Mandatsverteilung nach dem Bundeswahlgesetz habe „mittlerweile ein Maß an Komplexität erreicht, das für den Normalbürger aus meiner Sicht nicht mehr durchschaubar ist“.
Vergangene Woche hatte der Berliner Verfassungsgerichtshof erklärt, die Wahlen seien derart unzureichend vorbereitet gewesen, dass ein Gelingen von Anfang an gefährdet gewesen sei und eine „vollständige Ungültigkeit”, zumindest der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus in Betracht komme. Weiter stellte das Gericht fest, es habe zu wenige Kabinen und zu wenige Stimmzettel gegeben.
Die Wahlbedingungen seien unzumutbar gewesen, ein Teil der Wähler habe noch seine Stimme abgegeben, als in der Presse bereits erste Hochrechnungen veröffentlicht worden seien. Es hätten „teilweise chaotische“ Zustände geherrscht, viele Wahllokale seien „völlig überlastet” gewesen. In Tausenden Fällen waren falsche oder gar keine Wahlzettel ausgegeben worden. Nach einer ersten Einschätzung seien alle diese Fehler mandatsrelevant gewesen, so das Gericht.
Ein verfassungskonformer Zustand könne nur durch eine komplette Wahlwiederholung herbeigeführt werden. Das Gericht muss nun innerhalb von neunzig Tagen ein Urteil darüber fällen, ob die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wiederholt werden muss.