Totalitäre Systeme haben viele Gesichter, doch alle Erscheinungsformen haben eine Gemeinsamkeit: Sie versuchen ihre jeweilige Ideologie wissenschaftlich zu untermauern.
Wer von Totalitarismus spricht, der kommt an Hannah Arendt und ihrem 1951 erschienenen Buch „The Origins of Totalitarianism“ nicht vorbei. Die deutsche, um einiges erweiterte Ausgabe erschien 1955 mit dem vielleicht genaueren Titel „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Hannah Arendt untersucht den Totalitarismus unter drei Perspektiven, die sich auch im Aufbau ihres Buchs spiegeln: Antisemitismus (I), Imperialismus (II) und Totale Herrschaft (III). Antisemitismus und Imperialismus sind weder hinreichende noch notwendige Bedingungen für Totalitarismus: Es kann politische Systeme geben, die nicht antisemitisch sind, aber totalitär, und imperialistische Mächte müssen nicht per se totalitaristisch sein. Auch der dritte Teil von Hannah Arendts Buch zur totalen Herrschaft ist sicher nicht das letzte Wort, das zu diesem Thema gesprochen werden kann. Er ist stark geprägt von den Erfahrungen der Dreißiger und Vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts und bedarf — wie die Autorin im Vorwort zum dritten Teil selbst schreibt — einer Ergänzung durch die neuen politischen Entwicklungen im asiatischen Raum, zum Beispiel in China. Totalitäre Herrschaft kann andere Gesichter zeigen als jene Hitlers und Himmlers oder Stalins und der sowjetischen Säuberungen. Bei Totalitarismus denken die meisten Menschen an Nazideutschland, die stalinistische Sowjetunion oder Nordkorea. Kann es auch totalitäre, demokratische Systeme geben? Darauf versucht die politische Theorie eine Antwort zu geben. Mattias Desmet liefert nun eine Psychologie des Totalitarismus.
Kein Totalitarismus ohne Massen und Massen fordern totalitäre Herrschaft. Davon sind Gesellschaften wie die unsrige also jederzeit bedroht.
Es ist zweifelsohne so — das kann als historisch gesichert gelten —, dass totalitäre Systeme sich immer wissenschaftlich zu legitimieren versuchen. Sie haben — aus ihrer Sicht — die Wissenschaft auf ihrer Seite. Das gilt für die stalinistische Rechtfertigung über den Wissenschaftlichen Sozialismus genauso wie für die Wissenschaft im und für den Nationalsozialismus.