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„Spätrömische Dekadenz“ bescheinigte Guido Westerwelle 2010 den Empfängern von Transferleistungen. Der Außenminister diagnostizierte richtig, jedoch bei der falschen Zielgruppe. Dekadenz ist keine Epoche, sondern ein kulturelles Phänomen, das auftaucht, wann immer eine Zivilisation kraftlos wird und in eine Phase des Niedergangs eintritt. Lebensverneinung, übermäßige Verfeinerung der Sinne und Liebe zum Künstlichen können ebenso Symptome sein wie die Prunksucht einer Oberschicht, die jede Bodenhaftung verloren hat. Nietzsche definierte „Décadence“ als ein „Sichweglügen aus der Wirklichkeit“. Heute ermöglicht die Technik wie nie zuvor eine Flucht in virtuelle Gegenwelten. Die Maßlosigkeit des spekulierenden Kapitals ist ebenso Symptom eines Verfalls wie der Realitätsverlust von „Gamern“ und der Flirt einer ganzen Kultur mit der Selbstzerstörung.
Denn ein „Übergewicht der Unlustgefühle über die Lustgefühle“ — dafür ist nicht immer nur die Dekadenzneigung der Einzelmenschen verantwortlich; es kann auch genügen, von Robert Habeck, Karl Lauterbach und Nancy Faeser regiert zu werden.
Im übertragenen Sinn sitzt in dekadenten Epochen der Gedanken-Wasserkopf des Zeitgeists auf einem viel zu dünnen, anämischen Körper. Dekadenz ist somit keine historische Epoche, der sich bestimmte Jahreszahlen zuordnen ließen, sondern eine Kulturtendenz, die sich in der Spätphase jeder Zivilisation zeigt.
Die Erfahrung zeigt: Auf Phasen hemmungsloser Dekadenz einer breiteren Mehrheit folgten in der Geschichte immer wieder Zeiten künstlich inszenierter Härte, Not und Entbehrung. Denn gerade Letztes liegt im Interesse von „Eliten“.
Dekadenz — ist das nicht auch das Absterben der natürlichen Instinkte dafür, was der Seele noch guttut? Wir müssen vorsichtig sein, dass der Flirt mit dem Dunklen, die Lust am Denaturierten sowie hochgezüchtetes Realitätsdrückebergertum nicht einen Sog in den Abgrund erzeugen — letztlich ein Einverstandensein mit dem eigenen Untergang.