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Das Erzeugen von Schuld und Scham stellt ein probates Machtmittel zur Selbstunterdrückung der Menschen dar — im Kontext des Klimawandels kommt diese Methode besonders zum Tragen
Die bekannten Steuerungsinstrumente für Gesellschaften sind Regeln und Gesetze sowie Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen, die vor realen oder fiktiven Gefahren schützen sollen. Ein weiteres, weithin unbeachtetes, Instrument soll hier näher betrachtet werden: die Erzeugung von Schuld und Scham. Im Gegensatz zu allen anderen Mechanismen haben diese beiden Gefühle die Eigenschaft, dass sie bei Verstößen automatisch von der eigenen Psyche erzeugt werden. Somit benötigen sie weder dauerhafte Kontrolle noch „Zufuhr“ von äußeren Bedrohungen. Sie entstehen vor allem aus dem eigenen Gewissen und haben große psychologische Wirkung. Der Artikel untersucht, wie das Prinzip der Erzeugung von Schuld und Scham in unserer Zeit funktioniert.
Das neue erste Gebot unserer Zeit lautet dementsprechend: Du sollst kein CO2 produzieren. „Der Planet sandte sein Klima, um uns zur Umkehr zu bewegen. Nur durch radikale Entsagung werden wir uns von unseren Klimasünden befreien können.“ So in etwa könnte ein Glaubensbekenntnis lauten. Flugscham, Fleischscham, Lebensscham, Klimasünde, Klimaleugner: Allein das Vokabular zeigt, dass es hier nicht um rationalen Diskurs geht, sondern um moralisch, ja geradezu religiös aufgeladene Verfehlungen. Denn da, wo nichts mehr hinterfragt werden kann — „alle sind sich einig“ —, gibt es keinen prinzipiellen Unterschied mehr zum unhinterfragbaren Wort Gottes. Es handelt sich um ein geschlossenes System, dessen Axiome jenseits jeder Diskussion stehen. Daher auch die Begriffe Sünde, Schuld, Scham, Leugner — es ist die moralische Einteilung der Welt in Gut und Böse.
„Wir selbst sind nun gefordert, diese Schuld zu sühnen. Der Planet hat unsere Generation als das Lamm auserwählt, wir sind das Agnus Dei der Jetztzeit, das diese monströse Sünde auf sich nimmt“ (Thomas Eisinger, „Hinter der Zukunft“, 2021).
So gelingt es, die große Klimaerzählung rein zu halten. Jeder Zweifel könnte das nur auf einer einzigen These aufgebaute Moralgebäude ins Wanken bringen. Das wäre das Schlimmste, was geschehen könnte. Deshalb werden unzählige Narrativreiniger beschäftigt — im Volksmund: Faktenchecker —, die nur eine einzige Aufgabe haben: die Erzählung des ewig bösen und klimasündigen Menschen aufrecht zu erhalten. Und es funktioniert. Denn ganz ohne Einsatz von physischer Gewalt verändern die Bürger ihr Verhalten in gewünschter Weise. Sie passen sich an, um dem öffentlichen Druck auszuweichen. Sie rechtfertigen sich, verändern Denk-, Rede-, Konsum-, Ess- und Reiseverhalten. Sie prangern andere „Sünder“ an und üben sich gleichzeitig in Doppelmoral.