Als mir vorgeschlagen wurde, die Buchlesung für die Monatspuja im Mai zu halten, suchte ich nach einer Rede des südindischen Swamis Sri Balasai Baba, die für die aktuelle Lage die treffenden Worte beinhaltet. In dem Buch „Seid Glücklich! – Botschaft der Göttlichen Inkarnation Sri Balasai Baba“, Balasai Baba Central Trust, Hrsg, BALASAI Verlag, 2004, S. 53 ff. , scheint mir das Kapitel „Der wahre Erleuchtete“ besonders geeignet zu sein.
Wir befinden uns in einer Zeit eines dynamischen Wandels, mit Konflikten, Krisen und Auseinandersetzungen, die mir vor kurzem undenkbar erschienen. Das, was Gestern sicher schien, hat heute keinen Bestand mehr und wie es morgen aussehen wird, ist völlig offen. Ängste und Unsicherheiten sind nicht nur eine logische Konsequenz, sondern werden auch gezielt geschürt und instrumentalisiert. Neue Ideen und Konzepte werden als Wahrheiten gehandelt und mit radikal-religiösem Eifer vertreten. Die wahren Motive und Interessen dahinter bleiben weitgehend verschlossen. Pluralität und Diskurs bleiben auf der Strecke. Es ist unmöglich, sich diesem Wandel zu entziehen und man ist damit Teil des Konfliktgeschehens.
In der Bhagavad Gita wird die Frage nach dem richtigen Handeln in einem unausweichlichen Konflikt gestellt. Krishna, der Wagenlenker, bedeutet dem zögernden Arjuna, dass er, egal wie er handelt, nicht nur das Konfliktgeschehen mit gestaltet, sondern auch für die Konsequenzen seines Handelns die Verantwortung trägt. Und da es unmöglich ist, nicht zu handeln, stellt sich die Frage nach dem richtigen bzw. angemessenen Verhalten.
Wären wir in der Lage, die Bedürftigkeit unseres Egos zu erkennen und aus unseren Betrachtungen zu verbannen, könnten wir die Situation so sehen, wie sie ist und die richtigen Schlüsse für unser weiteres Verhalten ziehen. Wie oft wir auch den Hügel der Metakommunikation erklimmen, um unser Verhalten zu beobachten, müssen wir doch erkennen, dass das Ego weiterhin ein Teil von uns ist, selbst wenn wir meinen, große Fortschritte erzielt zu haben. Und doch ist jeder noch so kleine Schritt weg von unserem Ego, unendlich wertvoll. Erkennen wir, dass das längliche Objekt im Halbdunkel keine Schlange ist, sondern ein Seil, können wir loslassen. So eröffnen sich neue Handlungsräume – und die Fixierung ist beendet.
Andererseits bieten sich in unüberschaubaren Zeiten zahlreiche Personen als ‚Wagenlenker‘ an, um uns aus der Unsicherheit zu führen. In der Tat ist die Frage, woran man den richtigen erkennt.
Swami Sri Balasai Baba erklärt hierzu: „Eine wahrhaft verwirklichte Seele zeichnet sich durch Liebe, Mitgefühl und Barmherzigkeit für jedermann aus.“ (S.53) Damit wird deutlich, dass sie offen für alle, frei von Eitelkeiten und Repression ist. Anders „die heutigen selbsternannten Weisen und ‚Erleuchteten‘.[…] Sie werden aus nichtigem Anlass ärgerlich, beschimpfen und verfluchen die Leute, und obendrein handeln sie oftmals sogar sadistisch. Der Westen ist voll von solchen ‚Erleuchteten’.“ (S. 53)
Wer immer auch mit Ängsten, Drohungen, Ausgrenzung, Diskriminierung und Entwertung und drastischen Strafen ‚arbeitet‘, hat nicht das Wohl der Menschen im Auge und kann kein ‚Wagenlenker‘ sein. Swami Sri Balasai Baba: „In Wirklichkeit erzählen sie den Menschen nur von ihren eigenen Einbildungen und Vorstellungen und führen sie so in die Irre. Auf diese Weise begehen sie eine große Sünde, für die sie eines Tages bitter bezahlen müssen.“ (S.54)
Sie beanspruchen im Besitz der Wahrheit zu sein, aber: „selbst geschaffene Illusionen und Einbildungen sind nicht die Wahrheit“. (S.55) Der Mensch ist eben nicht in der Lage, seine sensorisch-kognitiven Grenzen, aber auch die Grenzen die das Ego setzt, zu überschreiten. Alle ‚Erweiterungen‘ unseres Wahrnehmungs- und Denkspektrums sind demnach nichts anderes als Übersetzungsvorgange in unseren sensorisch-kognitiv fassbaren Raum. Der Mensch dringt zwar in Grenzbereiche der Physik, Astronomie, etc. vor, aber landet dort im Reich des Spekulativen. So bleibt ihm die letztendliche Wirklichkeit verschlossen. Swami Sri Balasai Baba: „Gott ist die Wahrheit! Nur von Gott könnt ihr sie empfangen und selbst zur Wahrheit werden, nicht von eingebildeten Ideen.“
Zum Thema Gewalt und Gewaltlosigkeit äußert sich Swami Sri Balasai Baba dezidiert: „Diejenigen, die im Namen Gottes Kriege führen und morden, haben nichts mit Gott zu tun. Sie handeln nur aus eigenen selbstsüchtigen Interessen. Wie können sich jene, die nur egoistisch für sich selber sorgen und die Menschen verachten, Propheten oder Botschafter Gottes nennen? Zwischen Gewalt und Gott besteht kein Zusammenhang.“ (S. 56)
Krieg bedeutet Gewalt, Leiden und Tod, egal aus welchen Gründen er geführt, wie immer er auch begründet wird, religiös, ideologisch, politisch. Krieg ist im höchstem Maße menschenverachtend und durch nichts zu rechtfertigen. Immer liegen Kriegen Interessen zugrunde, die in den Begründungen meist nicht sichtbar sind. Offiziell vorgetragene Gründe sollen die Menschen zur Parteinahme und Kriegsbereitschaft bewegen. Wer aber Frieden will, gießt kein Öl ins Feuer. Wer Gewalt das Wort redet, entfernt sich von Gott. Swami Sri Balasai Baba: „Die sogenannten Propheten reden von Gewaltlosigkeit, doch sie töten im Namen Gottes, um Menschen ihre selbstgemachte religiöse Meinung aufzuzwingen.“(S.56) Keine Weltanschauung, Ideologie, Moral, „wissenschaftlichen“ Konzepte oder wie auch immer geartete Konstrukte rechtfertigen Zwang oder Gewalt. Erkenntnisse werden im Diskurs gewonnen und bedürfen keiner Manipulation oder gar Unterdrückung. Wer solcher Mittel bedarf, ist am Wohl der Menschen aber auch an Erkenntnissen nicht interessiert und entfernt sich von Gott. Galileo Galilei musste aus religiösen Gründen beispielsweise seinen Erkenntnissen abschwören. Genützt hat es den Eiferern nicht. Die Wahrheit hat sich doch durchgesetzt.
Swami Sri Balasai Baba: „Gott ist selbstlos und gewaltlos. Er ist reine Liebe, reines Erbarmen, Großzügigkeit und Freundlichkeit. Nur wer solche Eigenschaften aufweist, ist ein Bote Gottes.“ (S.56) Nur er ist geeignet, unser ‚Wagenlenker‘ zu sein.
CW 07/2022